Sonntag, 15. Juni 2014 von Christoph Prüm

Kapitalismus zähmen

An der Frage ob der Kapitalismus und die Kapitalisten ein Segen oder ein Fluch für die Menschen sind, da scheiden sich die Geister. 

Die einen geben dem Kapitalismus und den Kapitalisten die Schuld an Armut Not und Elend auf der Welt. Andere zeigen auf, dass der Kapitalismus zu einem noch nie da gewesenen Reichtum geführt hat. Immerhin, sagen sie, ernähre er eine Weltbevölkerung, die sich in den letzten achtzig Jahren verdreifacht hat. Was stimmt denn nun, Kapitalismus hui oder pfui? Ist er gut oder ist er böse?

Da die Antwort essentiell für das Leben des Einzelnen ist, kann diese nicht den "Experten" überlassen werden.

Begriffstbestimmungen eines Laien

In einer Marktwirtschaft sollen die Marktteilnehmenden innerhalb eines gesetzlichen Rahmens frei handeln können. Über ihr Tun am Markt, also über die Herstellung, den Preis und den Verbrauch von Waren entscheiden alle für sich selbst. Durch das Spiel von Angebot und Nachfrage regeln sich dann – im Idealfall – die Produktion und der Verbrauch aller Güter und Leistungen gewissermaßen automatisch. Ist die Nachfrage hoch und das Angebot klein, steigt normalerweise der Preis und die Produktion zieht nach. Das Ganze auch umgekehrt. Geld ist dabei das Tauschmittel mit dem die verschiedenen gegenseitigen Leistungen der Marktteilnehmer untereinander verrechnet werden. Im Kapitalismus verändert das Geld seine Qualität und wird selbst zur Ware, die dann Kapital genannt wird. Kapitalisten beschäftigt sich mit dem optimalen Einsatz und der Mehrung ihres Kapitals. Für den Einsatz dieses Kapitals erhält der Kapitalist – wenn es gut läuft – einen Gewinn oder beim Verleihen einen Zins. Läuft es schlecht, verliert er sein Kapital. Soziale Marktwirtschaft versucht durch Gesetzgebung (z.B. Arbeitsrecht) unselbstständige Personengruppen vor dem Wettbewerb zu schützen und durch Steuern und Transferleistungen (z.B. Hilfen zum Leben) einen gewissen Ausgleich zwischen ökonomisch erfolgreichen und nicht erfolgreichen Markteilnehmenden herzustellen.

 

Der Kapitalismus, die Menschen und die Erde

In einer freien Marktwirtschaft, so wird gesagt, ermöglichen Kapitalisten auch Wohlstand für andere, indem sie ihnen Arbeit und dadurch Einkommen verschaffen. Die Ansammlung von Kapital, um die sich Kapitalisten bemühen, treibt die wirtschaftliche Entwicklung voran und kann allen nützen. Jedes größere Produkt, jedes Haus, jedes Auto, jeder Arbeitsplatz setzt zu seiner Herstellung angesammeltes Kapital voraus. Das positive Ideal des Kapitalismus (und der Marktwirtschaft sowieso), das aber nur selten zu hören ist, lautet: Diejenige Person, die ihr Kapital und ihre Kräfte im Markt dorthin schickt, wo sie am besten honoriert werden, die schickt sie automatisch dorthin, wo sie für andere den größten Nutzen schaffen. Dass dieses Ideal teilweise pervertiert ist, trübt das Ideal aber hebt es nicht auf. Das Funktionieren des Marktes, also das Spiel von Angebot und Nachfrage, kommt vor allem dann an seine Grenzen, wenn die Marktteilnehmenden nicht frei sind in ihrem Handeln. Das ist z.B. der Fall wenn sich Monopole bilden: Konzentrationen von Marktanteilen und Kapital, oder auch wenn körperlich bedrohliche Armut herrscht. Dass der Markt aber im Prinzip funktioniert, erfahren Unternehmende täglich. Dass die Menschen in einem Marktsystem, wenn die Bedingungen einigermaßen gerecht sind, Reichtum ohne Ende produzieren, sehen wir alle.

Die Erde leidet unter den Menschen und Ihrem Wirtschaften, das ist nicht zu übersehen. Der Markt als isoliertes abstraktes Prinzip, sowohl im Waren- als auch im Kapitalverkehr, nimmt keinerlei Rücksicht auf irgendwen oder irgendwas. Wenn jeder und jede von uns Entscheidung ausschließlich danach trifft was vordergründig ihm oder ihr allein privat nutzt, vor allem finanziell, dann wird diese Kurzsichtigkeit schnell gefährlich für Mutter Erde. Glücklicherweise tun wir das aber nicht alle so konsequent, sei es aus Einsicht, aus Unfähigkeit oder einfach aus Desinteresse an einem hohen Kontostand. Die eingangs gestellte Frage, ob Kapitalismus gut oder böse ist, ist somit schnell beantwortet: Er ist so gut oder so böse wie wir, die Macher und Macherinnen im Markt, die Erzeuger, Händler, Kapitalisten und Verbraucher, gut oder böse sind. Und das ist doch eigentlich richtig; soll es nicht genau so sein, die Erde in der Verantwortung des erwachsenen Menschen? In der persönlichen Verantwortung einer jeden Person? Entspricht nicht genau das dem Ideal des Menschseins? Das Problem ist nur, dass damit die Uneinsichtigen die Lebensgrundlagen der anderen zerstören können. Da muss die Diskussion anfangen und die freie Marktwirtschaft ihre Grenzen finden.

Kapital kann etwas Wunderbares sein.

Kapital ist – bei vernünftigem Gebrauch – praktisch selbstvermehrend; es ist quasi der Goldesel aus dem Märchen. Für die, die genug davon angesammelt haben, könnte es die Erlösung sein, zumindest die Erlösung von unangenehmer Arbeit und von wirtschaftlichen Sorgen. Adam, so schrieb die Seherin Hildegard von Bingen vor 800 Jahren, lebte im Paradies aus seinem Eigentum. Er "leuchtete" und hatte großes Wissen von allen Dingen und Wesen. Dieses Wissen hatte er – das klingt erst mal erstaunlich – weil er nicht arbeitete! Eine Seherin aus dem Mittelalter mag kein Argument in der heutigen Diskussion sein, aber wenn wir kurz innehalten und prüfen, warum wir überhaupt arbeiten, dann scheint es doch logisch: Ist es nicht letztendlich das Ziel allen Wirtschaftens, Forschen und Arbeitens, das Leben zu erleichtern und die Notwendigkeit des Arbeitens zu überwinden? Um dann mit Wissen von (und Respekt vor) allen Wesen und Dingen in innerer Ruhe aus unserem Eigentum heraus zu leben? Der Begriff Arbeiterklasse kommt jedenfalls nicht vor in Hildegards Schau vom Paradies. Der Begriff Eigentum schon, und er drückt bei ihr eindeutig eine gegenseitige Liebesbeziehung aus.

Das heutige Paradies des Kapitalismus hat allerdings mindestens einen ernsthaften Schönheitsfehler. Wenige werden immer reicher, während zur Zeit in den entwickelten Staaten die meisten ärmer werden, auch wenn sie es noch nicht alle gemerkt haben. Die heutige Vermögenskonzentration auf Wenige steht der Machtkonzentration auf Wenige zur Feudalzeit wahrscheinlich kaum nach. Von großem Wissen und Respekt vor den Dingen und Wesen, und einer gegenseitigen Liebesbeziehung zwischen Eigentümer und Eigentum, ist ab einer gewissen Konzentration nicht mehr viel zu bemerken. Global gesehen ist die Ungleichheit noch größer als in Deutschland, sodass der Kapitalismus für viele Menschen in seinen Auswirkungen zu einer lebensbedrohlichen, ja tödlichen Katastrophe wird. Ein Paradies aber, in dem nicht alle Bewohner „Paradiesianer" sind, ist ein innerer Widerspruch. Es ist für niemanden eines, daran gibt es keinen Zweifel.

Kapital sammelt sich am leichtesten bei denjenigen an, die schon welches haben, das macht der Zins. Er ist auch kaum vermeidbar auch und sinnvoll, weil er der Preis und somit die Steuerung für den Kapitaleinsatz ist. Was Kapital fast ohne Zins anrichtet, kann man – als Beispiel – zur Zeit an den Immobilienpreisen beobachten. Der Zins ist auch sonst nicht grundsätzlich verwerflich. Zins ist im Idealfall das, was mein Eigentum, ja auch mein Kapital, mir für meine Aufmerksamkeit und meine Fürsorge zurückgibt. Der Eigentümer, der durch nützliche Arbeit und geschicktes Wirtschaften Kapital erworben hat, der ist in der Regel auch nicht das Problem. Im Gegenteil: Wer Kapital ansammelt, um damit etwas Größeres zu machen und im Alter davon zu leben, ist eher ein Segen für die Volkswirtschaft. Die richtigen Probleme, die der Kapitalismus uns der Gesellschaft macht, entstehen dann, wenn die Akkumulation des gleichen Kapitalstocks über die Generationen hinweg fortgesetzt wird. Das heißt, wenn die Nachfahren eines Familienclans mit dem ererbten Vermögen, das sie selbst nicht erwirtschaftet haben, einen riesigen Vorsprung gegenüber ihren Mitmenschen erhalten. Das richtige Problem entsteht genau dann, wenn der Markt nicht funktioniert weil die Start- und Teilnahmebedingungen am Markt für die Menschen brutal unterschiedlich sind.

Denn der Markt ist auch ein Monopolyspiel, aber heute leider kein faires.

Einer von angenommenen zehn Mitspielern beansprucht gleich am Anfang per Erbrecht weit über die Hälfte von allem Spielgeld und von allen Straßen und Häusern. Allein schon dadurch wäre es ein perverses Spiel, aber es ist vor allem auch deshalb ein perverses Spiel, weil es gar kein Spiel ist sondern Ernst, und weil die anderen neun Mitspieler nicht ausscheiden können, es sei denn, sie schieden aus ihrem Leben aus.

Andererseits ist die Option der Vergesellschaftung des Kapitals, also der Enteignung aller im Kommunismus, inzwischen ausgiebig getestet und offenbar als nicht menschengemäß befunden worden. Ich gehe davon aus, dass wo immer die Menschen heute frei entscheiden können, sie sich in irgendeiner Form für Eigentum und zumindest mittelfristig für ein Marktsystem entscheiden werden. Denn klar wird schnell, dass die Planwirtschaft, also die „künstliche" Kapitallenkung, die bei einer Verstaatlichung notwendig wird, ein Krampf ist. Es scheint heute vielen so, als wäre die Kapitalkonzentration auf wenige, die unser Wirtschaftssystem jetzt mit sich bringt, alternativlos. Es scheint so, als müssten wir den Kapitalismus so wie er ist, mit all seinen unsozialen Folgen, notgedrungen als unvermeidlich hinnehmen.

Kann man also überhaupt etwas tun?

Ja. Was wir tun können ist einfach, es ist billig in jeder Bedeutung des Wortes, es ist leicht zu erklären, es ist maßvoll und vernünftig:
 
Wir können für die jungen Erwachsenen unserer Gesellschaft faire, vermögensbasierte Startbedingungen schaffen; dann, wenn sie in den Markt eintreten.

Das sind wir sogar dem herrschenden liberalen Wirtschaftssystem schuldig. Nach Friedrich von Hayek, einem Verfechter eines kompromisslos liberalen, marktwirtschaftlichen Kurses, ist die „Gerechtigkeit der Regelordnung" für das Funktionieren eines liberalen Systems entscheidend. Nach Hayek bilden sowohl die Forderung, dass „die Bedingungen oder die Spielregeln, durch welche die relativen Positionen der verschiedenen Menschen bestimmt werden, gerecht sind", als auch der Kampf „gegen alle Diskriminierung" das „Wesensmerkmal liberaler Tradition". Ich weiß, dass Herr Hayek hier nicht das Erbrecht im Blick hatte, aber es müsste jedem vernünftigen Menschen einleuchten, dass es in der Praxis keinen Unterschied macht, ob ein Marktteilnehmer durch den Staat, die Gesetze oder durch Erblasser privilegiert wird.
 
Der Kapitalismus mag alternativlos sein, aber die Chancenungleichheit im jetzigen System ist es definitiv nicht. Die Verknüpfung eines freien, leistungsbasierten Wirtschaftssystems mit einem in völligem Widerspruch dazu stehenden Erbsystem aus der Feudalzeit ist die Katastrophe unserer Zeit, nicht das Prinzip des Kapitalismus oder die Marktwirtschaft selbst. Es sollte uns gelingen die jetzigen enormen Konzentrationen an Eigentum an unserer Welt nach dem Tode der Eigentümer wieder in größerem Umfang dem Zugriff der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Wir werden dann ziemlich sicher einen – nicht nur wirtschaftlichen – Segen und eine Explosion der Kreativität erleben. Wenn es uns nicht gelingt einen gewissen Ausgleich beim Erben in unser System einzubauen, dann wird der Kapitalismus an sich selber ersticken oder wieder mal eine Katastrophe auslösen. Wenn ein Monopolyspieler die ganzen Straßen und das ganze Geld bei sich versammelt hat, ist für die anderen das Spiel bekanntlich aus. Für ihn selbst aber auch.

Wir brauchen ein Erbausgleichssystem, ein Grunderbe

Wir brauchen ein modernes Erbrecht, das einen angemessenen Teil des laufend durch Tod freiwerdenden Vermögens in einen breiten Vermögensbildungsprozess der Bevölkerung einschleust. Das kann effektiv nur geschehen über einen Erbausgleichsfond und ein gesetzliches Allgemeines Grunderbe für Jeden. Diese Rezirkulation ist der Weg wie mit den Nachlässen erfolgreicher Mitmenschen bei keinem Individuum Schaden angerichtet und bei allen Individuen Nutzen erzielt würde.
 
Wir sollten unser Real-Monopoly dringend umbauen: Von einem Endsiegerspiel, das zwingend von Zeit zu Zeit in einen Crash mündet und dann einen Neustart erfordert, zu einem rezirkulierenden Entwicklungsspiel in dem alle gewinnen wenn es gut läuft. Es sollte uns auch bewusst sein, dass ein wirtschaftlicher Crash auch schnell einen militärischen Aspekt bekommen kann. Der könnte heute leicht so ausfallen, dass ein Neustart für die Menschheit nicht mehr möglich wäre.

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