Mittwoch, 26. Juli 2023 von Christoph Prüm

Jedem das Seine?

Lagertor

Übler geht es gar nicht...

... als einen altehrwürdigen Spruch, der Gerechtigkeit ausdrücken soll, auf das Tor eines Vernichtungslagers zu schreiben. Seit die arroganten Dummköpfe, die diese Verbrechen begingen, ihre kurzlebige Macht verloren haben, ist dieser Spruch in Deutschland verpönt. Er kann einen sogar vor den Richter bringen, wenn man ihn im Nazi-Sinne von sich gibt. Nur in der Lateinischen Form "Suum Cuique" ziert er noch Gerichtssäle und die Mützen der Feldjäger der Bundeswehr.

Historiker verfolgen den Spruch zurück bis ins alte Griechenland. Sokrates ließ sich in diesem Sinne vernehmen, wie Plato offenbar berichtet, und Aristoteles hat sich an ihm im Philosphieren geübt. Dabei ist ihm wohl auch aufgefallen, dass der Spruch ja eigentlich gar nichts aussagt: "Jedem das Seine" sagt ja nicht WAS jedem zusteht. Nach Aristoteles ist das, was einem Menschen zusteht, nach dem Wert dieses Menschen zu bemessen. Aber, sagt er (laut Wikipedia):

"als diese Wertigkeit bezeichnen nicht alle das Nämliche, sondern die Demokraten die Freiheit, die Oligarchen den Reichtum, andere die Hochwohlgeborenheit, wieder andere die Tüchtigkeit.“ 

Ok, lieber Aristoteles (Vornamen hatte er keinen), dass die Reichen - und die Adeligen sowieso - ihre Brut für wertvoller halten, als die anderer Menschen, ist bekannt. Dass einer die Tüchtigen für wertvoller hält als die Untüchtigen ist zumindest ein nachvollziehbares Argument, aber was ist mit der Freiheit der Demokraten gemeint? Darüber hätte ich mich gerne noch ausführlicher unterhalten, aber das geht ja nun irgendwie nicht.

Ja wir sind Demokraten, was sich darin ausdrückt, dass wir alle Menschen im Grundsatz für gleichwertig halten. "Im Grundsatz" bedeutet hier, dass wir anerkennen, dass der Maßstab für die Wertigkeit eines Menschen letztendlich in diesem Menschen selber liegt, und nicht bei uns, dem aussenstehenden Betrachter. Wenn es das ist, was Aristoteles hier mit der Freiheit der Demokraten meint, dann ergibt das einen Sinn.

Wir können über den Wert eines Menschen also kaum etwas sagen. Wir kennen weder den Maßstab für den Wert eines Menschen, noch wie weit ein Mensch seinem Maßstab, seinem Ideal nahe gekommen ist. Aus dieser Unmöglichkeit der Wert-Beurteilung eines Menschen folgt die Pflicht zur Gleichbewertung bei der Ausstattung mit Gütern.

Jedem das Seine kann in einer Demokratie also hier nur Gleichbehandlung bedeuten: Jeder hat ein Anrecht auf seinen (suum) eigenen Anteil an der Reichtümern der Welt, in die er geboren wurde und in der er leben muss. Dann soll gerne seine Tüchtigkeit entscheiden, wie weit er damit kommt. Bis ein solches Grunderbrecht realisiert ist, bis also jeder das ihm Zustehende, "das Seine" bekommt, werden die Demokratie und das Erbrecht in einem ungelösten und  zunehmend gefährlicher werdenden Konflikt verbleiben.

Als unvermeidliche Nachlassverwalter unserer sehr nahen Vorfahren sind wir aufgefordert, den von ihnen übelst missbrauchten Spruch Jedem das Seine durch die Einrichtung eines allgemeinen Grunderbes mit echtem Sinn zu füllen. Jedem das Seine könnte dann in der deutschen Sprache einmal für etwas anderes stehen als für arrogantes Morden.

Bild: Wikipedia: Martin Kraft, MK38041 Buchenwald Lagertor, CC BY-SA 3.0

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