Donnerstag, 9. Oktober 2025 von Jan-Marten Veddeler

Der Ordo-Liberalismus und das Grunderbe

Alexander Rüstow ca. 1960 in einem Vortrag der Aktion Soziale Marktwirtschaft. Jlorenz1, Public domain, via Wikimedia Commons

Alexander Rüstow: Ein Ordoliberaler Vordenker für das Grunderbe

Wenn wir über die Väter der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland sprechen, fällt oft der Name Ludwig Erhard. Doch hinter den Kulissen wirkten Denker, deren Ideen heute relevanter sind denn je. Einer dieser Pioniere war Alexander Rüstow, eine Schlüsselfigur des Ordoliberalismus, der einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus suchte. Seine Schriften offenbaren eine radikale Kritik an der Leistungsfeindlichkeit ererbten Reichtums und skizzieren eine Vision, die wir heute als Grunderbe bezeichnen würden.

 

Das Problem: Wenn Reichtum die Herrschaft übernimmt

Rüstow, der während der NS-Zeit ins Exil in die Türkei fliehen musste, analysierte schonungslos die Schwächen des ungezügelten Kapitalismus. Er argumentierte, dass ein fairer, leistungsgerechter Wettbewerb – ähnlich wie im Sport – das Ideal sein müsse. Doch die Realität sah anders aus. Die extreme Ungleichverteilung von Vermögen sah er als eine zentrale, zerstörerische Kraft für die Gesellschaft.

In seinen eigenen Worten:

„Dass die Verteilung von Vermögen und Einkommen in unserer plutokratischen Wirtschaftsordnung irgend etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hätte, wird wohl heute niemand mehr im Ernst behaupten wollen. […] Bekanntlich werden Reichtum wie Armut in aller Regel ererbt […] die heutigen Reichen [sind] im ganzen immer noch die Erben der einstigen Eroberer, ihres Besitzes, wie übrigens auch ihrer Gesinnung."

Für Rüstow lag das Kernproblem nicht in der Ungleichheit an sich, sondern im Erbe. Er nannte es die „erbliche Startungleichheit“, durch die der Feudalismus in der Marktwirtschaft weiterlebt und sie in eine Plutokratie – eine Herrschaft des Reichtums – verwandelt.

Die Lösung: Gerechtigkeit von Anfang an („Startgerechtigkeit“)

Rüstow war jedoch kein Freund der Verstaatlichung. Die Konzentration allen Eigentums in den Händen des Staates würde die Freiheit nur noch weiter einschränken. Stattdessen entwickelte er das Konzept der „Startgerechtigkeit“, das sowohl mit einem dezentralen Wettbewerb als auch mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist:

„Je mehr man die soziale Einkommensverteilung, unter vernünftiger Sicherung einer unteren Mindestgrenze, dem Walten eines streng überwachten fairen Leistungswettbewerbs und seiner Marktgesetzlichkeit überlässt, desto mehr muss sich natürlich die Forderung sozialer Gerechtigkeit auf den individuellen Start in diesem Wettlauf konzentrieren. Offenbar entspricht es nicht den Grundsätzen eines fairen, allein auf die Leistung abgestellten Wettbewerbs, wenn in ihm ein Wettbewerber nur dadurch einen wesentlichen und vielleicht uneinholbaren Vorsprung hat, dass er bei der Wahl seiner Eltern die nötige Vorsicht walten ließ und als Sohn eines reichen Vaters startete.“

Wie aber erreicht man diese Startgerechtigkeit? Rüstow schlägt neben gleichen Bildungschancen auch eine Gleichheit des Vermögens am Start vor. Für die moderne Wirtschaft mit ihren großen Unternehmen skizziert er eine uns nicht unbekannt vorkommende Lösung: Das Eigentum an Konzernen könnte in Aktienpakete aufgeteilt werden, die dem Wert eines kleinen Bauernhofs entsprechen. Jeder Bürger hätte bei Erreichen der Volljährigkeit Anspruch auf ein solches Paket.

Damit entwirft Rüstow im Grunde eine Version des universellen Grunderbes, ohne es explizit so zu nennen.

Ein Leitstern für die Zukunft

Rüstow war sich bewusst, dass seine Idee einer vollständigen Startgerechtigkeit für seine Zeit utopisch klingen mochte. Er sah sie als einen „Leitstern“, auf den die Gesellschaft hinarbeiten sollte. Als Zwischenlösung schlug er eine stark progressive Erbschaftssteuer, den Ausbau der Sozialversicherungen und die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen vor.

Dennoch hielt er daran fest, dass eine echte wirtschaftliche Startgerechtigkeit die einzig umfassende und erreichbare Lösung bleibt. Die Gedanken dieses Vordenkers der Sozialen Marktwirtschaft bieten uns heute eine kraftvolle intellektuelle Grundlage für die Debatte um ein Erbe für jeden.

__________________________

Dieser Gastbeitrag ist eine gekürzte und adaptierte Version des Artikels „Alexander Rüstow, Ordo-liberalism and a universal basic inheritance“, der ursprünglich auf startequal.org veröffentlicht wurde.

Ihr Beitrag:

			







		
		
Wir behalten uns vor Beiträge zu kürzen oder zu löschen, wenn sie nach unserer Auffassung beleidigend oder rechtswidrig sind.
Bitte alle Felder ausfüllen.
Kommentar absenden